Geschlechtsunterschiede in der Entwicklung des
moralischen Urteils (S. 109-120)
Lawrence J. Walker
Lawrence J. Walker
Literaturüberblick bezogen auf alle Studien , die unter
Verwendung von Kohlbergs Messverfahren Geschlechtsunterschiede in der
Entwicklung des moralischen Urteils prüfen. Untersuchungen, die sich des DIT
(Defining Issues Test, Komponentenmodell der moralischen Entwicklung) bedienen,
seien schon von James Rest (1979)
zusammengefasst worden und allesamt zu dem Ergebnis gekommen, dass sich keine
signifikanten Geschlechterdifferenzen ergeben. Der DIT wird auch
Neo-Kohlbergianisch genannt, weil er Kognition, persönliches Konstruieren
moralischer Perspektiven, moralische Entwicklung und postkonventionelles
Moraldenken fokussiert.
Das File-Drawer-Problem, welches Rosenthal 1979 beschrieb,
kommt in der Forschung um moralische Entwicklung mit Bezug auf die
Geschlechterdifferenz wohl häufig zum Tragen:
Daten werden aufgrund fehlender statistischer Signifikanz
nicht publiziert und bleiben in der Schublade. Hieraus ergibt sich, dass die
meisten Forscher, die nichts über Geschlechterdifferenzen berichteten,
möglicherweise keine Unterschiede festgestellt haben.
Drei Lebensphasen wurden in der Forschung unterschieden: a)
Kindheit und Frühadoleszenz, b)Spätadoleszenz und Jugendalter, c) Erwachsenenalter.
a) Kindheit und Frühadoleszenz: Es lagen 31
Untersuchungen mit insgesamt 2.879 Versuchspersonen dieser Altersgruppe vor. Es
stellte sich heraus, das Geschlechtsunterschiede in moralischen Urteilen in
diesem Lebensabschnitt selten sind. Nur 5 von 41 Stichproben liefern
signifikante Ergebnisse im Bezug auf die Unterschiede; wenn Unterschiede
vorkommen, beziehen sie sich auf eine reifere Entwicklung der Mädchen.
b) Spätadoleszenz
und Jugendalter: Es lagen 35 Untersuchungen mit insgesamt 3.901
Versuchspersonen vor, wobei es sich überwiegend um Oberschüler und Studenten
handelte. Lediglich in 7 von 46 Stichproben zeigten sich
Geschlechtsunterschiede, die auf eine reifere Entwicklung der Männer um etwa
1/2 Stufe hindeuten.
c) Erwachsenenalter: Es lagen 13 Untersuchungen mit
insgesamt 1.223 Versuchspersonen vor. Geschlechtsunterschiede zeigten sich hier
geringfügig häufiger als in den vorangegangen Lebensabschnitten. In 21
Stichproben fanden sich 4 signifikante Unterschiede, die sämtlich zugunsten der
Männer lagen.
Hierzu ist anzumerken, dass es aufgrund der vorliegenden Daten unmöglich ist, entwicklungsbedingte und Kohorten-Unterschiede zu trennen - daher könnten Geschlechtsunterschiede auch nur in dieser Generation häufiger sein als in der späteren.
Hinzu kommt, dass die Variable Geschlecht oft mit Unterschieden im Bildungsgrad und/oder Berufsposition konfuierte. Waren Männer und Frauen hinsichtlich Bildung und beruflicher Stellung vergleichbar, waren Geschlechtsunterschiede im moralischen Urteilen nicht nachweisbar.
=> Es besteht direkte Evidenz für den Zusammenhang
zwischen einer Vielzahl sozialer Erfahrungen (z.B. Familiendiskussionen,
Bildung, Beruf, politische und soziale Betätigung) und moralischer Entwicklung.
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