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Samstag, 26. Januar 2013

Moralische Orientierung und Entwicklung, Carol Gilligan

Moralische Orientierung und moralische Entwicklung
Carol Gilligan

Hier kann man eine junge und eine alte Frau sehen,
jedoch selten beide zugleich
Am Beispiel einer mehrdeutigen Figur erklärt Gilligan, dass man die Realität zwar gern als unzweideutig wahrnimmt, es aber nicht unbedingt immer eine richtigere oder bessere Sichtweise gibt. Außerdem hebt sie hervor, dass zum Kontext, der die Entscheidung zwischen zwei möglichen Deutungen beeinflusst, nicht nur die Merkmale der Anordnung, sondern auch die vorangegangenen Erfahrungen und die Erwartungen des Wahrnehmenden gehören.


Auf moralische Urteile übertragen bedeutet dies, dass eindeutig erscheinende Lösungsansätze nicht immer die einzig richtigen sein müssen und dass das Bedürfnis nach Geschlossenheit möglicherweise den Weg zu einer anderen Perspektive versperrt.
Gilligan sieht diese Problematik bei der Untersuchung der moralischen Entwicklung gegeben, da die Gerechtigkeitsperspektive die Fürsorgeperspektive als alternativen Bezugsrahmen in der Forschung Piagets und Kohlbergs verstellt. Deshalb sei es wichtig festzuhalten, dass sowohl private als auch öffentliche Beziehungen zwischen Menschen mit Rekurs auf ihre Gleichheit wie auf ihre Bindung charakterisiert werden können und dass sowohl Ungleichheit als auch Trennung moralische Probleme aufwerfen können.
Um auf diesen Umstand besser eingehen zu können, möchte Gilligan zwischen dem moralischen Entwicklungsniveau (Grad der Adäquatheit der Position innerhalb einer Orientierung) und der moralischen Orientierung andererseits unterscheiden.

Besonders Frauen neigen laut Gilligan dazu, moralische Probleme - besonders dann, wenn sie über ihre eigene Erfahrung sprechen - auf eine Art zu definieren, die die Moraltheorie außer Acht lässt.
Die Entdeckung, dass häufig eine andere Stimme als die Gerechtigkeitsperspektive das moralische Urteil von Frauen leitet, lenkte Gilligans Aufmerksamkeit darauf, dass Kohlberg als empirische Basis für seine Theoriekonstruktion eine geschlechtshomogene, männliche Probandengruppe nutzte - dies sei als Basis für eine Generalisierung die beide Geschlechter betreffe logisch inkonsistent.
Auch Piaget definierte seine entwicklungspsychologischen Erkenntnisse auf Grundlage seiner Untersuchungen zum Murmelspiel von Jungen definierte. Gilligan stellt fest, dass Mädchen hier lediglich als Kontrollgruppe von Interesse waren.

Gilligan will im Folgenden die Gerechtigkeitsperspektive und die Fürsorgeperspektive unterscheiden und nimmt aufgrund des empirischen Zusammenhanges von Fürsorgeperspektive und weiblicher Geschlechtszugehörigkeit an, dass Frauen eine anders geartete Perspektivenpräferenz haben.

Beide Perspektiven bezeichnen laut Gilligan verschiedene Möglichkeiten, die Grundelemente moralischen Urteilens zu organisieren: das Selbst, die Anderen und die Beziehungen zwischen ihnen. Es verändere sich mit dem Perspektivenwechsel die Dimension, in der Beziehungen organisiert werden. Innerhalb einer Gerechtigkeitsperspektive sei Unparteilichkeit das Kennzeichen reifen moralischen Denkens, da sie leidenschaftslose Urteile und Objektivität befördere. Aus einer Fürsorgeperspektive sei Unparteilichkeit im Sinne fehlender Empathie aber gerade eines der zentralen Probleme. Gilligan führt im Folgenden weitere Eigenschaften der Perspektiven an:


Fürsorgeperspektive
Gerechtigkeitsperspektive
setzt eine Verbindung und die Möglichkeit des Verstehens voraus setzt Getrenntsein voraus und entsprechend das Bedürfnis nach einer äußeren verbindenden Struktur
das Fehlerrisiko besteht im Vergessen der eigenen Kriterien; man kann sich soweit auf die Perspektive des Anderen einlassen, dass man sich nach den Kriterien anderer definiert und sich als "selbstlos" begreift
das Fehlerrisiko besteht im latenten Egozentrismus, die eigene Perspektive kann leicht mit einem objektiven Standpunkt verwechselt werden


Die Beziehung definiert das Selbst und die Anderen das Selbst als moralische Instanz hebt sich vom Hintergrund sozialer Beziehungen ab

Die beiden Perspektiven, die sie nicht als komplett gegensätzlich, sondern als komplementär verstanden wissen will, verdeutlicht sie am Beispiel zweier Medizinstudenten, deren Tutor in ihrer Ausbildungsinstitution Alkohol konsumiert hatte, den sie jedoch nicht anzeigten.
Student 1 begründete seine Entscheidung dadurch, dass der Tutor ein "angemessenes Ausmaß an Reue" gezeigt habe. Zusätzlich stellt der Student in Frage, ob das Alkoholverbot seitens der Ausbildungsinstitution rechtens sei.
Student 2 rechtfertigt seine Entscheidung mit der Überlegung, dass eine Anzeige das Problem des Tutors nicht lösen würde, da die Bindung zwischen ihm und dem Studenten zerstört würde und somit eine Hilfsperspektive versperrt sei. Weiterhin fragt sich der Student, ob der Tutor selbst sein Alkoholproblem erkennt.

Gilligan verdeutlicht hieran den Unterschied zwischen Fürsorge im Rahmen der Gerechtigkeitsperspektive und der Fürsorgeperspektive selbst. Student 1 mildert durch Gnade das Recht ab; Fürsorge wird zu einem Akt der Gnade. Auch sind im Rahmen der Gerechtigkeitsperspektive supererogatorische Pflichten, die aus persönlichen Beziehungen erwachsen möglich, ebenso frei gewählte Altruismus. All dies tastet die Grundannahme der Gerechtigkeitsperspektive nicht an: Die Distinktsetzung von Selbst und Anderen sowie die Logik der Reziprozität und gleicher Achtung.
Dem gegenüber ist die Fürsorge als Moraltheorie weniger gut ausgearbeitet und verfügt nicht über ein geeignetes Vokabular, um sie zu beschreiben. Es geht bei der Fürsorgeperspektive um die Interdependenz von Ego und Alter, um die Auffassung von Handlung als einfühlsamer Reaktion, die in einer Beziehung steht. Hier wird die die Distinktsetzung von Selbst und Anderen problematisch, da sie zu Gleichgültigkeit führt. Gilligan hebt darauf ab, dass jeder der Studenten mit seiner Rechtfertigung Problemaspekte erörtert, die der andere nicht erwähnt. Sie hält fest, dass die verschiedenen Perspektiven einander nicht negieren, aber die Aufmerksamkeit jeweils auf unterschiedliche Dimensionen der Situation lenken.

Drei zentrale Fragen bestimmen Gilligans systematische Forschung über Probleme der moralischen Orientierung (nicht Entwicklung!) als einer Dimension moralischen Urteilens:

1) Werden bei der Diskussion eines moralischen Dilemmas Probleme der Gerechtigkeit und/oder der Fürsorge artikuliert?
2) Gibt es eine Tendenz, die Aufmerksamkeit auf nur eine Art von Problem zu lenken und die andere nur minimal zu berücksichtigen?
3) Besteht ein Zusammenhang zwischen moralischer Orientierung und Geschlecht?

Laut Gilligan liefern empirische Studien für alle drei Fragen positive Ergebnisse.
"Aufgefordert, einen selbst erlebten moralischen Konflikt zu beschreiben, formulierten 55 von 80 (69%) nordamerikanischen Heranwachsenden und Erwachsenen mit höherem Bildungsgrad sowohl Gerechtigkeits- wie Fürsorgeargumente. Zwei Drittel jedoch (54 von 80) konzentrierten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf eine der beiden Perspektiven [...] In dieser Untersuchung zeigten Männer wie Frauen [...] mit gleicher Wahrscheinlichkeit" das Phänomen der Konzentration auf eine Perspektive [...] Mit einer Ausnahme konzentrierten sich alle Männer, die überhaupt eine
Konzentration aufwiesen, auf Gerechtigkeit."

Gilligans Folgerungen:
a) Die Möglichkeit der Konzentration auf Fürsorge würde zum Verschwinden gebracht, wenn keine Frauen in Untersuchungsstichproben einbezogen würden.
b) Die Betonung der Fürsorge im moralischen Urteil der Frauen weist auf die Beschränktheit einer allein auf Gerechtigkeit ausgerichteten Moraltheorie hin.
c) Wenn der Bereich der Moral mindestens zwei Orientierungen umfasst, ist die von den ProbanInnen gezeigte Präferenz ein Indiz dafür, dass Menschen dazu neigen, die andere Orientierung aus dem Blick zu verlieren. Es ist den meisten nicht möglich, beide Orientierungen zu integrieren und die entstehende Ambiguität auszuhalten.

Mit Rückblick auf Piagets und Kohlbergs geschlechtshomogene Versuchsgruppen merkt Gilligan an, dass diejenigen, die moralische Urteile anhand der "Achtung vor Regeln" zusammenfassen oder mit der Prämisse dass "es (nur) eine Tugend gibt und ihr Name Gerechtigkeit ist" beginnen, Frauen in der Moraltheorie notwendig als problematisch sehen.

Im Folgenden legt Gilligan eine Studie von Kay Johnston dar, bei der Johnston die Beziehung zwischen moralischer Orientierung und Problemlösungsstrategien ergründen wollte. Dazu verwendete Johnston Fabeln, um die spontane moralische Orientierung und Orientierungspräferenz zu testen. Die 60 ProbandInnen zwischen 11 und 15 Jahren sollten das in der Fabel aufgeworfene moralische Problem angeben und es lösen. Anschließend wurden sie gefragt, ob man das Problem auch auf eine andere Weise lösen könne. Etwa die Hälfte der Kinder wechselte spontan die moralische Orientierung, wenn sie gefragt wurden, andere folgten einer Hilfestellung des Interviewers. Abschließend fragte man die Kinder, welche der von ihnen gefundenen Lösungen die beste sei, wozu die Mehrzahl der Kinder eine eindeutige Meinung hatte.
Johnstons Ergebnis unterstützt Gilligans These von der weiblichen Moral: Jungen präferierten spontan häufiger die Gerechtigkeitslösungen und Mädchen verwendeten spontan häufiger Fürsorgelösungen.

Aus dieser Studie folgert Gilligan, dass der Umstand, dass Kinder in der Lage sind die moralische Orientierung zu wechseln, darauf hindeutet, dass die Wahl der moralischen Orientierung Teil einer moralischen Entscheidung ist. Ob diese Wahl implizit oder explizit getroffen wird, kann Gilligan nicht näher bestimmen. Sie nimmt an, dass die Wahl mit Fragen der Selbstachtung und Selbstdefinition zusammenhängt. Sie unterstreicht mit Johnstons Studie ihre Annahme, dass die moralische Entwicklung nicht anhand einer einzigen linearen Stufenfolge abgebildet werden kann.

Die Frage wie sich eine Orientierungspräferenz herausbildet wird von Gilligan unter dem Blickwinkel von Chodorows Theorie der Objektbeziehung betrachtet:
"Die Theorie der Objektbeziehung verknüpft die Herausbildung des Selbst mit der Erfahrung von Trennung, indem sie Individuierung an Trennung koppelt und so die Erfahrung des Selbst der Verbundenheit mit anderen entgegensetzt". Chodorow verbindet die Herausbildung der Geschlechtsidentität durch das Kind (Selbstidentifikation als männlich oder weiblich) mit der Analyse der Mutter-Kind-Beziehung. Er stellt die These auf, dass die mütterliche Fürsorge bei Mädchen die Fortdauer eines in Beziehung verankerten Selbstgefühls (relational sense of self), da weibliche Geschlechtsidentität mit dem Gefühl, mit der eigenen Mutter verbunden zu sein, zusammenstimmt. Bei Jungen steht die Geschlechtsidentität in einem Spannungsverhältnis zur Mutter - angeblich erfahren also Jungen zwar in der Mutter-Kind-Beziehung Anteilnahme und Fürsorge, ist aber in seiner männlichen Identität bedroht.

Für die Mädchen bedeutet ihre Bindung zur Mutter ein Hindernis auf dem Weg zur Individuierung, da die Verbundenheit mit anderen laut Chodorow die Selbstentwicklung stört. Gilligan steht dieser Haltung kritisch gegenüber und verweist darauf, dass PsychologInnen, die Moral mit Trennung und Autonomie konfundieren, Fürsorge mit Selbstaufopferung und Gefühl assoziieren anstatt anzuerkennen, dass Fürsorge eine Form des Wissens und eine kohärente moralische Position ist.

Zwei Phänomene bilden für Gilligan einen Zirkel, der die Moralphilosophie und Psychologie beherrscht:
-Die Gleichsetzung von Mann und Mensch [laut Gilligan kennzeichnend für Platonische - / Aufklärungstradition und Psychologie]
-Die Gleichsetzung von Fürsorge mit Selbstaufopferung

Dieser Nexus muss laut Gilligan neu evaluiert und die weibliche Position muss in ihn einbezogen werden. Sie schlägt vor, die Moraltheorie an zwei Beziehungsdimension auszurichten: a) Bindung als Verbundenheit, Fürsorge b) Getrenntheit als Unparteilichkeit, Gerechtigkeit. Dies würde die weibliche Stimme anerkennend in die Forschung einbeziehen und der Fürsorgeperspektive Raum schaffen. die ein ergänzendes und unverzichtbares Gegenstück zur Gerechtigkeitsperspektive darstellt.



Psychologische Ethik, Alfred Schöpf



Psychologische Ethik (S. 210-234)
Alferd Schöpf
[aus: Geschichte der neueren Ethik, Band 2]

Ontogenese und Phylogenese der Moral
(In der Entwicklungspsychologie versteht man unter 'Ontogenese' die individuelle (psychische) Entwicklung. In der Biologie ist der Gegenbegriff 'Phylogenese'; das ist die Geschichte des Stammes alles Lebenden und dessen Verzweigungen.)

Man kann auf zwei Weisen nach dem Grund des moralischen Denkens fragen. Die Psychologie tut dies genealogisch, das heißt, sie fragt nach der Entstehungsgeschichte. Die Philosophie dagegen will die Frage der Begründung moralischer Urteile als Geltungsfrage (quid iuris) von der Frage nach ihrer Entstehung (quid facti) trennen. Die 'quaestio facti' betrifft nur die Art, wie eine Erkenntnis tatsächlich erworben wird. Ihr stellt der Kritizismus die 'quaestio juris', d. i. die Frage nach der transzendentalen Befugnis eines Begriffes nach seinem Rechtsanpruch  entgegen.

An dieser Schnittstelle sieht man in der Philosophie die Gefahr des Psychologismus gegeben: Wären die Kriterien und Begründungen von moralischen Entscheidungen auf seelisches Erleben und Einzelschicksale zurückzuführen, würde dies moralische Urteile bedingt und wandelbar machen. Dies würde einem transzendental-logischen Begründungsideal nicht genügen.
Es ist deshalb wichtig festzuhalten, dass die Psychologie als empirische Wissenschaft sich nur mit der faktischen Art des Entstehens von moralischen Überzeugungen beschäftigt.
Die Psychologische Ethik ist insofern von der Philosophie abhängig, als dass ihre Begründungsverfahren (nämlich die moralischen Bedingungen der psychosozialen Welt zu rekonstruieren) von dem abhängen, was als Maßstab der Obligationen und ihrer strukturellen Integration in einer moralischen Persönlichkeit zugrunde gelegt wird. Hier sind Rechtfertigungsverfahren einer Philosophischen Ethik vorausgesetzt, insofern ist die Psychologische Ethik keine autarke, geschlossene Disziplin.

Das Gebiet der faktischen Entstehungsgeschichte moralischer Überzeugungen und gliedert sich in drei Teilbereiche, von denen einer der Ontogenese und zwei der Phylogenese angehören:

Ontogenese
(betrifft das Entstehen moralischer Überzeugungen eines Individuums)
Phylogenese
(betrifft das Entstehen moralischer Überzeugungen als Prozess innerhalb der Menschengattung)

betrifft das Entstehen moral. Überzg. als Prozess der Menschengattung
betrifft das Entstehen moral. Überzg. als Prozess der Evolution
Aufgabe d. Entwicklungspsychologie
Aufgabe d. Gesellschaftswissenschaften
Aufgabe d. Biologie

Davon klar abzutrennen ist die Philosophie, der die Aufgabe der Rechtfertigung von Maßstäben zufällt. Es ist jedoch fragwürdig, ob die Wahrheit eines moralischen Urteils ausschließlich durch formale Prozeduren der Rechtfertigung aus Vernunftgründen zu erweisen ist, oder ob sie sich auch in seiner Entstehungsgeschichte zeigt.

Bei den Anstrengungen, die unternommen werden, um die formale Richtigkeit eines moralischen Urteils nachzuweisen werden für gewöhnlich 2 Schritte angewendet. Zum Einen wird aus dem Erleben einer Handlungssituation eine Handlungsregel/-maxime herausgelöst, zum Anderen nimmt man in einem Universalisierungsverfahren den Standpunkt eines allgemeinen Subjektes ein (im Gegensatz zu einem historisch bestimmten Subjekt mit propositionalen und volitionalen Gehalten). Durch diese Maßnahmen versucht man zu erreichen, dass die so gefundenen Maximen für jedermann jederzeit gelten können.

Jedoch sind für die Wahrheit eines moralischen Urteils in konkreten Entscheidungssituationen möglicherweise noch andere Bedingungen von Relevanz. So benötigt der Mensch für seine Entscheidung laut J. Rawls zum Beispiel eine inhaltlich moralische Überzeugung, die der formalen voraus gehen muss. Diese nennt Rawls "wohl überlegte Urteile". Nach Aristoteles benötigt ein Subjekt zum moralisch korrekten Handeln auch sittliches Verständnis, um die Bedingungen einer Situation angemessen erfassen zu können. Diese Erfahrungsgrundlage des Moralischen gilt es, näher zu beleuchten:
Unter welchen Bedingungen externer und interner Art kommt moralische Erfahrung zustande?
Wie beschaffen muss die kognitive Grundlage unseres Urteilens sein, damit eine Persönlichkeit moralisch ist?

Moralpsychologie und psychologische Ethik
Die psychologische Ethik beschäftigt sich mit der inhaltlichen Begründung der Entstehung des Sollens und der moralischen Identität als Voraussetzung für formale Rechtfertigungsverfahren. Die Moralpsychologie hat zwei große Themenbereiche:
1.) Inhaltliche Frage: Wie kann der Mensch moralisches Sollen erkennen und fühlen? Welches sind  
     die Entstehungsbedingungen?
2.) Strukturelle Frage: Ist das Erfassen moralischer Probleme als Kompetenz bereits angeboren?
     Müssen bestimmte Bedingungen erst sein Entstehen ermöglichen? Welches Niveau von
     Gefühlsdifferenzierung ist Voraussetzung für eine moralische Identität?

Die moralische Entwicklung als Gebiet der Entwicklungspsychologie ist in drei einflussreichen Richtungen zum Thema geworden.
1.) In der genetischen Theorie der Genfer Schule Jean Piagets mit Nachfolgern bei Lawrence Kohlberg, auslaufend in neueren Theorien des Perspektivwechsels und der sozialen Kognition.
2.) In der behavioristischen Tradition in ihrer radikal-reduktionistischen Form bei B.F. Skinner, die in die kognitiv orientierte Verhaltenspsychologie einmündet.
3.) In der Psychoanalyse bereits bei Sigmund Freud & weiteren Entwicklungen der Ichpsychologie.

Jean Piaget: Die Entwicklung des moralischen Urteils
Piagets genetische Schule beschäftigt sich mit moralischen Phänomenen, die er exemplarisch in Kinderspielen studiert. Dazu legt er den Kindern moralisch relevante Spielsituationen vor und befragt sie  zu deren Vorstellungen im Hinblick auf Fairness im Spiel, angebrachte Strafen etc.
Wenn die psychologische Persönlichkeit in fünf Systeme eingeteilt wird, nämlich Wahrnehmung, Denken, Bedürfnisse und Triebe, Emotionen, sowie Handlungen, dann ist Piaget vorrangig mit dem Zusammenhang zwischen Wahrnehmung-Denken-Handlung befasst. Es ergibt sich, dass die Systeme Emotionen, sowie Handlungen und Triebe methodisch ausgeklammert werden.
Es ist zum genaueren Verständnis anzumerken, dass Piaget hauptsächlich Jungenspiele analysierte, gebräuchliche Spiele verwendete und nicht die tatsächliche Spielsituation betrachtete; für die Tragweite seiner Theorie ist außerdem eine Erklärung seiner sechs Grundannahmen nötig:

1. Operatives Denken
Im Zentrum steht der Begriff des Denkens, dem Piaget operativ auffasst, d.h. als eine Art "in der Vorstellung handeln" oder Probehandeln.

2. Interaktionelles Denken
Das Denken steht in einem wechselseitigen Austauschprozess mit der Umwelt. Zum Einen muss sich der Organismus der Welt anpassen (Akkommodation) und zum Anderen passt er die Welt sich an (Assimilation).

3. Äquilibration
Die Austauschprozesse tendieren zu einem Gleichgewicht hin. Sie sind unter dem Gesichspunkt der Entwicklung zur Äquilibration hin zu erforschen.

4. Intelligenzpsychologie
Das Denken ist nur Teil von wesentlich allgemeineren Austauschprozessen mit der Umwelt. Alle Gleichgewichtslagen, die Organismen herstellen können, bezeichnet Piaget als intelligent. Intelligenz wird hier zu einem transitorischen Begriff, der die Felder der Biologie mit denen der Psychologie/Soziologie und der Logik verbindet.

5. Äquilibration = optimal
Anzustreben ist eine Gleichgewichtsform nahe einer mathematischen Gleichung, die in einer vollendeten Austauschbeziehung steht.

6. schème und structure
Piaget führt zwei Begriffe ein, 1.) das Handlungsschema (schème), 2.) die Handlungsstruktur (structure). Mit schème ist die Koordination von Handlungsabläufen und ihre Zusammenfassung zu einer Form gemeint. Davon unterschieden ist structure das allgemeinene Intelligenz- oder Handlungsniveau, auf dem diese Schemata angesiedelt sind.

Die prämoralische Strukur des Motorischen
Piaget unterscheidet eine vormoralische Phase der kindlichen Entwicklung von der moralischen.
Die vormoralische Phase nennt Piaget die 'sensu-motorische Phase', in ihr nimmt das Kind über die Sinne Reize auf und reagiert motorisch. Dem Aufgenommenen entsprechen noch keine Vorstellungsbilder, aber die Handlungsschemata werden komplexer.
In der folgenden Phase entwickelt das Kind symbolisches/anschauliches Denken.

Zwischen diesen beiden Phasen weist das Kind eine Regelmäßigkeit im Handeln auf, aber es ist nicht in der Lage, die Regeln einzusehen. Es probiert sich im Handeln aus ohne nachzuahmen - Nachahmung ist aber eine Voraussetzung für Sozialcharakter einer Handlung, ohne diesen kann es auch keine Frage nach Anerkennung der eigenen Handlung und keine Sollens-Verpflichtung geben.

Regelerkenntnis
In der prämoralischen Phase weist das Kind motorische Regelmäßigkeit auf, kann aber keine Regeln selbst einsehen. Diese structure herrscht vom ersten Lebensjahr an bis zum Grundschulalter vor. Drei Punkte markieren die prämoralische Phase, die egozentrische Perspektive,  der moralische Realismus und der Zwang der Erwachsenen.
-Die egozentrische Perspektive besagt, dass das Kind intelligenzmäßig noch nicht in der Lage ist,
 seine Perspektive zu dezentrieren, d.h. sich in andere hinein zu versetzen.
-Der moralische Realismus des Kindes bedeutet, dass es Handlungen danach beurteilt, was sie als
 Folgen in der Sichtweise der Eltern nach sich ziehen. Das Gut-Sein einer Handlung wird nicht von
 der Absicht abhängig gemacht, sondern von ihrem materiellen Resultat.
-Der Zwang der Eltern wirkt hier regulierend auf das Kind, das noch keine Regeln selbst einsehen
 kann.

Die Voraussetzungen für den Übergang von der prämoralischen structure zur Einsicht in eine Regel sind dreierlei:
1) Fähigkeit zur Nachahmung
    (Erwachen einer spezifisch sozialen Wahrnehmung, probeweises Einnehmen einer anderen 
    Perspektive)
2) Fähigkeit zu spielen
    (soziale Wahrnehmungen können so verarbeitet werden, dass das Kind sie symbolisch
    ausdrücken kann und ihnen eigene Bedeutung zulegt)
3) Innere Vorstellungsbilder
    (Um sich symbolisch ausdrücken zu können, benötigt das Kind eine eigene Vorstellungswelt)

In dieser Übergangsphase hin zur Regeleinsicht kann das Kind verpflichtende Regeln erfassen und sie befolgen; Piaget nennt sie deshalb eine einseitige Achtungsphase, die durch die elterlichen Ansprüche getragen wird. Weiterhin bezeichnet Piaget diese Moral als heteronom, weil sie sich am Handlungserfolg (Lob/Strafe) orientiert.

Eine Wende tritt für Piaget mit dem Lebensalter von sieben auf acht Jahre ein. Es entsteht eine Wandlung des Maßstab des Sich-Verpflichtet-Fühlens von der Verpflichtung gegenüber äußeren Forderungen zu einer Verpflichtung gegenüber sich selbst.
Den Entwicklungsfortschritt kontrastiert er mit der prämoralischen structure:

egozentristische Perspektive
Fähigkeit die eigene Perspektive zu dezentrieren
moralischer Realismus
Ablösung von elterlichen Zwang hin zu einer unabhängigen Sichtweise moralischer Probleme
Lob/Strafe
Orientieren an der inneren Absicht

Insgesamt durchläuft die moralische Entwicklung des Kindes nach Piaget vier Stadien, wobei das vierte Stadium mit dem 10.-12. Lebensjahr erreicht wird:
1) Regel ohne das Bewusstsein moralischer Verpflichtung
2) Regel mit Verpflichtung gegenüber der Autorität
3) Regel auf Verpflichtung zur wechselseitigen Zusammenarbeit
4) Regel aufgrund der Verpflichtung zur wechselseitigen Zusammenarbeit

Im vierten Stadium wird das Regelbewusstsein reflex und sucht nach verbindlichen Gesetzen zur Regelbegründung. Das Endziel der moralischen Entwicklung stellt sich für Piaget als Autonomie und Zusammenarbeit bei wechselseitiger Achtung dar. Moral hängt für ihn also am sozialen Faktum der Interaktion zwischen Menschen ab.

Weiterentwicklungen
Lawrence Kohlberg rückte den Fokus der Moralentwicklungsforschung noch mehr ins Abstrakte, da sie sich nicht mehr für die Strukturen des moralischen Urteils, sondern für dessen Begründung interessierte. Er behauptet mit seinem Stufenmodell sowohl Kinder als auch Erwachsene invariant aus allen Kulturen erfassen zu können. Mit seinem Ebenenschema  stieß er auf Kontroversen, die einmal die hierarchisch aufgebaute Stufenfolge, aber auch die Orientierung an westlichen Kulturen, die Favorisierung männlicher Erlebenswelten und die empirische Nachprüfbarkeit der Existenz der Stufen 5 und 6 betreffen.

[IN BEARBEITUNG]